Frühlingswetter - Gedicht von Robert t. Odemann
Frühlingswetter
Ein braver Mann, der gern die Tauben
gefüttert hat am Schlossportal,
erschrak gewaltig, war´s zu glauben,
ein Täubchen sprach mit einemal:
"Ach, hätten Sie in Ihrer Tüte
für mich wohl noch ein bisschen Mais?"
Der Mann war starr: "Du meine Güte,
Sie reden?" sprach er kreideweiß.
Das Täubchen sagte: "Selbstverständlich.
Die Menschensprache ist nicht schwer."
Und als von seinem Schreck er endlich
sich hat erholt, da sagte er:
"Ach, würden Sie mir das Vergnügen
wohl machen und zum 5-Uhr-Tee
zu mir zu einer Party fliegen?"
Das Täubchen gurrte: "Ja, oh keeh!
Wo wohnen Sie? Ich komme gerne."
Der Mann sprach: "Leibnizstraße 8.
Sie kriegen auch die schönsten Kerne."
Das Täubchen drauf: "Gut, abgemacht."
Nun ist von diesem Mann zu sagen,
er stand im Rufe allgemein -
es war an sich ja zu beklagen -
er solle nicht ganz richtig sein.
Die Freunde lud er zu dem Tage
dann ein und sprach: "Das süße Tier
kommt mit dem 5. Glockenschlage
zum Tee dann eigens her zu mir."
Es wurde 5, man hat gewartet,
es wurde 5 Uhr 17.
Man sprach: "Wie ist das ausgeartet
bei ihm, wie konnte das geschehn?"
Nun wurde es schon 5 Uhr 30,
man aß und trank betreten nur.
Es wurde 5 und 35...
Da läutete es auf dem Flur.
Der Mann hat sich nun still erhoben,
begab sich auf den Korridor,
hat von der Tür zurückgeschoben,
den Riegel... und wer stand davor?
Das Täubchen. Es war ganz beklommen,
hat mit gesenktem Haupt erklärt:
"Ich habe mich nicht gut benommen,
ich weiß, dass sich das nicht gehört!
Ich spürte plötzlich das Verlangen,
das Frühlingswetter war zu schön,
Sie können das gewiss verstehn.
Da bin ich halt zu Fuß gegangen."
Robert t. Odemann